nordamerikanische Literatur: Ihre Anfänge bei Puritanern und Republikanern

nordamerikanische Literatur: Ihre Anfänge bei Puritanern und Republikanern
nordamerikanische Literatur: Ihre Anfänge bei Puritanern und Republikanern
 
Englischsprachige Kultur und Literatur in Nordamerika hat seit dem Beginn der Kolonialisierung mit der Geste einer programmatischen Selbstbestimmung als »American« zu tun. Das gilt insbesondere für die puritanische Besiedlung Neuenglands, und hierin ist sicherlich die herausragende Rolle der Puritaner in der Ausformung eines spezifisch amerikanischen Selbstbewusstseins begründet. Im Zeichen der multikulturellen Interessen unserer Zeit werden aber auch die zeitweilig fast verstummten anderen Tendenzen und Gruppen in der Kulturgeschichte der USA verstärkt wieder hörbar - häufig als Infragestellung der dominanten Traditionen oder als Antwort auf sie.
 
Puritanische Texte dienen vorrangig der Selbsterforschung und Selbstbestimmung, als Individuum oder als Gruppe. Gattungen wie Predigt und Psalm schaffen Gemeinsamkeit im Religiösen, Autobiographie und Historiographie schaffen sie im Weltlichen, wobei durchgängig im Zeichen des puritanischen Welt- und Heilsentwurfs die beiden Bereiche bis zur wechselseitigen Identifizierung aufeinander bezogen werden. Einzelne und Gesellschaft sind auf demselben Weg zur diesseitigen Realisierung oder Vorwegnahme des Gottesstaats. Geschichtstexte wie die frühen Berichte Bradfords und Winthrops oder Cotton Mathers spätere »Magnalia Christi Americana« haben deswegen immer ihre (real-)utopische Dimension, sie sind Aufruf zur Verwirklichung des gemeinsamen Projekts. Von ihnen lässt sich eine nahtlose Verbindung zum Zweck vieler Texte des späteren 18. Jahrhunderts herstellen - und mutatis mutandis (nämlich durch Übersetzung des Religiösen ins Weltliche) auch zu deren Rhetorik. Wie Mather durch die vielfache allegorische Parallelisierung großer Puritaner mit antiken Größen den Gottestaat propagiert, so verficht Thomas Paine durch sein vielgestaltiges Porträt des aufgeklärten Individuums die Prinzipien der kommenden Republik. Und wie Mather in seinem »Bonifacius« eine christliche Seele (auto-)biographisch präsentiert, die sich selber zur Tugend hinführt, so liefert uns Benjamin Franklins Autobiographie nach demselben Schema der an Selbstmanipulation grenzenden Selbsterziehung das Ideal eines neuen Amerika: das des ganz und gar weltlichen Selfmademan.
 
Neuengland bleibt von den Anfängen bis zur Revolution durch ein protestantisches Bestehen auf der Unabhängigkeit der einzelnen Seele gekennzeichnet, das sich ins Innere des Individuums wendet als fortlaufende Gewissenserforschung, die durch Krisen wie die Hexenverfolgungen von Salem oder die Indianerkriege immer neue Dringlichkeit bekommt; Tagebücher wie das Samuel Sewalls legen davon beredt Zeugnis ab - und ebenso von der gleichzeitigen robusten Verankerung derselben Menschen im materiellen Alltag. Eine vergleichbare Innerlichkeit manifestiert sich in der hoch-manieristischen Lyrik eines Edward Taylor oder in den viel »häuslicheren« Versen der Anne Bradstreet, und sie erscheint ganz anders in den bereits von der Empfindsamkeit geprägten autobiographischen Schriften Jonathan Edwards'. Nach außen wendet sich derselbe Protestantismus als individueller Dissens gegen die Verquickung von Kirche und Staat, die in der Vorstellung des Gottesstaats vorgegeben ist und der etablierten Hierarchie größte Macht gibt. Figuren wie Anne Hutchinson und Roger Williams stellen schon bald nach der Ankunft der Puritaner in Neuengland solche Hierarchie in der einen oder anderen Weise infrage und wirken tendenziell auf eine Aufsplitterung des Protestantismus hin.
 
Innerer Dissens wird hart ausgegrenzt: an den Pranger gestellt, gebrandmarkt, exiliert. Mit ähnlicher Härte gehen die puritanischen Kolonien gegen äußere Feinde vor: gegen andere Weltanschauungen (insbesondere die in manchem verwandten Quäker haben zu leiden) und gegen die Indianer. Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts sind die eingeborenen Kulturen soweit zerschlagen, dass sie im Ganzen nur als untergründige Netzwerke und ständig sich wandelnde Gemeinschaften unterhalb der oberen, sichtbaren Ebene politisch-gesellschaftlicher Organisation fortleben - in dieser Form allerdings bis in die Gegenwart, in der sie sich an manchen Orten neu konsolidieren. Entsprechend gering scheint der kulturelle Austausch mit den weiter südlich gelegenen, ganz anders konstituierten Kolonien gewesen zu sein. Man war jeweils mehr aufs Mutterland als auf die andere Kolonie ausgerichtet, und dies in unterschiedlicher Weise. Wo der Norden eine bürgerliche Handels- und Bildungselite ausbildet, ist die des Südens am Modell des englischen Landadels ausgerichtet, und dies ist im Materiellen nicht ohne Plantagen (und Sklaverei), im Immateriellen nicht ohne einen Klassizismus denkbar, der von der Architektur bis zur Literatur reicht. In ihm bleibt eine koloniale Abhängigkeit sichtbar, die der Norden durch den religiösen Antagonismus vielleicht leichter vergessen kann, wenn auch bis ins 19. Jahrhundert der englische Markt für alle amerikanischen Autoren beherrschend bleibt.
 
Das wird nach den Unabhängigkeitskriegen zum Problem, und bei allem Bewusstsein der englischen Herkunft zwar nicht aller Teile der Bevölkerung, wohl aber ihrer Sprache und Literatur wird die Frage nach dem eigenständig Amerikanischen wieder neu gestellt. Sie wird verschieden beantwortet. Zum einen findet man eine umfassende Adaptation mitteleuropäischer Motive: zum Beispiel im beginnenden 19. Jahrhundert bei Washington Irving die völlig konstruierte historische Tiefe des Hudson Valley im Staat New York, durch die der Hudson zum amerikanischen Rhein wird, sein Tal zum amerikanischen Rheintal, die Orte an ihm zu Äquivalenten der Burgen und Städtchen am Rhein. Anderswo greift man auf die gerade erst zerstörten Indianerkulturen zurück und lässt sich von ihnen Embleme einer kontinuierlichen »amerikanischen« Lebensweise liefern. Häufiger ist ein Schema der Ablösung, das das Neue in organizistischer Weise aus dem Tod des Alten entstehen lässt. Dabei kann das Alte wieder indianisch sein, und Cooper verwendet noch am Anfang des 19. Jahrhundert beide Schemata in seiner Indianerdarstellung. Aber das Alte kann auch als englisch definiert werden, und zwar im Zeichen einer Translatio-studii-Vorstellung, auf die bereits England seine Hegemonieansprüche gestützt hatte. Im 19. Jahrhundert wird die daraus resultierende imperiale Definition des Amerikanischen, die in Texten der Kolonialzeit und der frühen Republik ansatzweise sichtbar ist, politisch ausgebaut. Aber die ästhetischen Texte gehen dann andere, skeptischere Wege; die Literatur ist nun nicht mehr so durchgängig und selbstverständlich Wegweiser der Gesellschaft wie in den Anfängen.
 
Prof. Dr. Hartwig Isernhagen
 
 
Amerikanische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hubert Zapf. Stuttgart u. a. 1997.
 Schirmer, Walter F.: Geschichte der englischen und amerikanischen Literatur. 2 Bände. Tübingen 61983.

Universal-Lexikon. 2012.

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